Spex No 362, von Sandra Grether: Pippi und die Scherben, ein Weckruf

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Jetzt auch online bei der Spex: http://www.spex.de/2016/02/26/pippi-und-die-scherben-ein-weckruf/

Im Zuge der Online-Vö des Artikels gab es am 8.3. ein Interview mit Sandra auf
Deutschlandradio Kultur: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2016/03/08/drk_20160308_1541_3426460f.mp3

Kolumne: Wie wir leben wollen!

Privilege is when you think something is not a problem/ because it`s not a problem to you personally.

Eins vornweg: ich will keine Beispielnamen hören, die belegen sollen, dass das Musikgeschäft gar nicht mehr sexistisch ist – und wie viel Emanzipation es doch in den letzten Jahren gegeben hat! Ja! Aber die Namen, die dann gedroppt werden, sind meistens Namen von Musikerinnen aus Ländern, die Deutschland feministisch um 30, 40 Jahre voraus sind. Diese Künstlerinnen hätte hierzulande keine_r aufgebaut. In diesem Weckruf soll es aber um Sexismus speziell in Indie-Deutschland gehen. Zum Glück hat die Spex ja eine anti-sexistische Attitude und Tradition. Und wie merkwürdig ist es da, dass sich diese Haltung so gut wie nie auf die Strukturen in Indie-Deutschland ausgewirkt hat.

„Aber es gibt doch diese und jene Musikerin da und da….“ erstickt jede Problemdiskussion im Keim. Fortschritt und Emanzipation bedeuten 50 Prozent Teilhabe und nicht 5 -10 Prozent. Daran gibt es nichts zu rütteln. Es sei denn man ist der Meinung, Frauen hätten sich im Berufsleben nicht zu verwirklichen und seien vor allem für Herd und Kinder da.

Privilegierte Menschen sind es gewohnt, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Und der Indie-Deutschland-Dieter bietet in Gesprächen gerne Lösungen an, in dem er das ärgerliche Problem verharmlost, negiert oder kurzerhand selber löst. Die Lösung: „Es gibt gar keinen Sexismus mehr.“

Das ist ungefähr so als würde man behaupten unser Wirtschaftssystem sei gar nicht kapitalistisch, weil es doch staatliche Schulen und Flohmärkte gibt. Überhaupt hat der Indie-Dieter immer genau EIN Argument parat, warum das ganze Gerede über Sexismus in der Musikwelt Quatsch sei. Mit dem einen Argument, und sei es noch so einleuchtend, meint er, alle strukturellen Probleme außer Kraft setzen zu können.

Klar, deutsche Musikerinnen können ihre Lieder auch auf Soundcloud stellen. Die alles entscheidenden Fragen aber lauten ob es für als weiblich identifizierte Menschen theoretisch möglich wäre, sich innerhalb von Indie-Deutschland Strukturen zu schaffen, die es ihnen z.B. ermöglichen: ein Album nach dem anderen rauszubringen, mit namhaften Produzenten zu arbeiten, Artikel in den Musikmedien zu bekommen, und zwar mit jedem Album immer größere. Ein Label zu finden, das Geld investiert, auch in Promotion. Indie-Radio-Rotation. Entscheidend ist auch ob ihr Name auch ein Monat nach Erscheinen des Albums noch fällt. Ob man sich ihre Lieder mehr als einmal checkermäßig anhört. Ob sie Schulen begründen dürfen und ob ihre Songtexte Überschriften in Feuilletons werden. Ob man respektvoll mit ihnen über ihre Musik redet oder doch lieber nur über die wilde Message und das Rolemodel-Ding. Ob sie in den Jahreslisten auftauchen. Ob sie als einflussreich auf andere Bands gelten. Ob sie auch mal ein paar Jahre pausieren dürfen und dann trotzdem wieder Beachtung finden. Ob sie faul sein dürfen. Ob sie fleißig sein dürfen. Ob sie das Privileg haben sich durch Live-Konzerte ein Publikum zu erspielen. Ob sie auf Festivals gebucht werden. Wie viele Musikerinnen aus Indie-Deutschland fallen uns ein, und sei es aus den letzten 35 Jahren, auf die mindestens drei oder vier dieser Kriterien zutreffen?

Na, kein Wunder, dass es zum Beispiel so etwas wie die „deutsche Björk“ nicht gibt. Und jetzt schließen wir die Augen und überlegen uns wie viele männliche Acts aus Indie-Deutschland uns da einfallen…

Es gibt übrigens sehr viel mehr unbekannte Musikerinnen hierzulande, die alles versuchen und nie einen offiziellen CD-Release hinkriegen als viele meinen. Es ist nicht mehr wie vor 20 Jahren als es diese Musikerinnen und Bands von Frauen gar nicht erst gab.

Und wusstet ihr, dass in Deutschland auf Festivalbühnen zu ca 92 Prozent Männer stehen. Egal wie alternativ die Festivals sind.

Ach ja Deutschland, da war doch was: Deutschland ist ein Land, in dem viele Männer es scheinbar nicht so gern sehen, wenn Frauen Karriere machen. (Und was ist da erst mit den Alternativ-Karrieren, die auch noch als cool und beneidenswert gelten.) Auch die Gesetzgebung spielte da immer prächtig mit. Man denke nur an das unsägliche Ehegattensplitting. In Deutschland wird die Ehefrau, die nicht arbeitet, mit Geld belohnt. Noch bis zum Jahr 1975 konnten Männer ihren Frauen den Beruf sogar offiziell verbieten, wenn sie nachweisen konnten, dass die Frau ihre Pflichten als Ehefrau verletzt. Und dieser Fakt, dass Frauen es in Deutschland besonders schwer haben im Beruf, ist international anerkannt und erforscht. In kaum einem anderen europäischen Land ist der Pay Gap so hoch wie in Deutschland. Leider führen diese Missstände aber nicht dazu, dass Frauen andere Frauen unterstützen. Ich habe im Indie-Bereich selten Macherinnen hinter den Kulissen getroffen, die ernsthaft Bock darauf gehabt hätten, Musikerinnen zu fördern und sie mit Budgets, und seien sie auch noch so klein, zu versorgen.

Während die Booking-Agentur für die gerade angesagte Mädchenband sieben Konzerte bucht (und das mag auch an den misogynen Veranstaltern liegen), bucht die selbe Agentur für die gerade angesagte Jungsband 70 oder 700 Konzerte. Musiker dürfen wachsen. In dieser Diktatur der Angepassten werden Musikerinnen behandelt wie kritische Dissidenten. Man freut sich keinesfalls über die Vielfalt, die sie in das System bringen. Man behandelt sie mit ängstlicher Skepsis. Oder man ignoriert sie und lässt sie am ausgestreckten Arm verhungern. Erzählt ihnen aber die ganze Zeit wie krasstoll sie polarisieren, auch wenn sie die normalsten Sachen machen. “Die Frau in der Musik stört immer“, um es mit Francoise Cactus und Stereo Total zu sagen.

Tauscht man sich mit anderen Musikerinnen aus, stellt man schnell fest: wir machen alle haargenau die gleichen Erfahrungen, jedenfalls wenn wir weiß sind. Egal welche Haarfarbe wir haben. Egal welche Musik wir machen und welche Geschichten wir erzählen. Egal auch wie wir aussehen, wie alt wir sind oder wie bewusst uns das alles ist. Wenn wir eine schwarze Hautfarbe hätten, hätten wir es noch schwerer.

Die Indiemusikerin in Deutschland ist der Fehler im System und deshalb muss das System den Fehler in ihr erzeugen. Das ist übrigens eine psychopathische Strategie. Wir haben aber keine Lust Euer konstitutives Außen zu bleiben.

Und überlegt in Zukunft lieber zweimal, ob es auch wirklich zutrifft, wenn ihr diejenigen Adjektive aus dem Giftschrank holt, die (auch international) für Sängerinnen en vogue sind: „Charmant“, „unfertig“, „ kommerzverdächtig“ (die „Schlampe“ will wohl Geld verdienen), „schräg“ „zauberhaft“, „dilettantisch“, „so subjektiv“, „auf der Suche“, „schrottiger Sound“. Und das Schlagzeug, na das „rumpelt“ immer! Und die Adjektive, die der Indie-Dieter oder die Indie-Heidi für die männlichen Helden reserviert haben, gehen mehr so in Richtung; „genial“, „meisterhafte Dichtkunst“, „lässiges Könnertum“, „ein Meister des…“„virtuos“, „gerechter Zorn“, „rebellisch“, „wichtig“.

Hinzu kommen bei den Jungs noch Vergleiche mit den größten Dichtern, Provokateuren und Bands aller Zeiten. Bei der Musikerin sind Vergleiche beliebt mit Figuren aus der Sesamstraße, aus Kinderbüchern, Cartoons und Klatsch/Promi-Presse. Wie oft ich schon „Pippi Langstrumpf“ war! Oder Vergleiche mit Tieren. „Ein scheues Reh“ oder „Miss Lillifee“ schickt man aber vielleicht nicht so gerne auf Tournee wie die „jungen Wilden“, die die Fackel von „Radiohead meets Ramones“ weitertragen. Im selben Atemzug wie der Indie-Dieter und die Indie-Heidi behaupten, es ginge „nur um Musik“ werden limitierende Geschlechterrollen aus der unerschöpflichen Trickkiste der weiblichen und männlichen Stereotype angewandt. Bis es unmöglich sein kann, dass, wenn Miss Lillifee und Pippi Langstrumpf zusammen Musik machen Ton Steine Scherben dabei herauskommt. Indie-Deutschland bestreitet dass es Sexismus gibt, weil es nicht böse sein will. Aber genau dieses Bestreiten des von ihm mitverursachten Sexismus macht Indie-Deutschland so böse.